Rückerinnerung: Schuleinführung 1945

Rückerinnerung:
Zeitenwende - Kriegsende 1945 in Thüringen
Das Kriegsende erlebte ich als fünfjähriges Kind in einem Ortsteil von So... in Thüringen.
Im Januar 45 fand unsere Flucht - Mutter, Oma, Schwester - aus dem Gebiet östlich der Oder in Thüringen ihr Ende. Durch viele Anzeichen wurde auch mir als Kind das nahende Kriegsende bewusst. Die Flugzeuge der Amerikaner und Engländer überflogen in riesigen Pulks immer häufige in großer Höhe den Ort. Immer öfter wurden die Tage und Nächte aus Angst vor Luftangriffen im Keller oder in den umliegenden Wäldern verbracht. Ich erinnere mich, wie des Nachts am Horizont der Feuerschein der brennenden Städte No … und So … zu sehen waren. Besonders gefährlich waren die Bomber, die nach dem Angriff ihre restlichen Sprengkörper ziellos auf dem Rückflug abwarfen.
Deutsche Soldaten flüchteten vor den nahenden Amerikanern und warfen Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Munition weg. Gefährliche Spielgeräte für uns Kinder!
In der ersten Aprilhälfte sah ich vom Fenster aus die ersten amerikanischen Soldaten und damit auch die ersten "Schwarzen" meines Lebens. Mit ihnen hatten wir Kinder schnell Kontakt, gab es doch Schokolade und andere Lebensmittel. Mit ihren Waffen durfte man auch schießen, wenn man Eier beschaffen konnte oder eine "große" Schwester vorweisen konnten.
Die Erwachsenen sahen das anders. Die Soldaten durchsuchten die Wohnungen nach Beutegut. Meine Tante bezahlte die Verweigerung der Herausgabe des Blaupunkt Radios fast mit dem Leben. Sie ließ es bei der Übergabe in den Treppenschacht fallen. Der Soldat zielte mit der Maschinenpistole auf sie, schoss dann aber in die Decke.

Der amerikanische Standortkommandant konnte sich "normales" Leben nur vorstellen, wenn in seinem Verantwortungsbereich die Schule funktionierte (vielleicht war er Lehrer!?). Seine Aufforderung zum Schulbeginn wurde von der Bevölkerung nur halbherzig oder gar nicht befolgt. Weil nun die Schüler nicht freiwillig zur Schule kamen, schickte er seine Soldaten aus, alles, was Schulalter hatte, einzusammeln.
Alle frei herumlaufenden Kinder wurden eingefangen, auf die Jeeps gesetzt und zur Schule gefahren. Das Heulen und Gebrüll war ohrenbetäubend. Keiner von uns glaubte, dass wir die Eltern nochmals wieder sehen würden. Die Nazipropaganda zeigte auch bei uns volle Wirkung. Amerikaner oder Russen machten für uns keinen Unterschied!
Im Klassenraum ebbte das Geheul langsam ab, als auf dem Pult vorn Schokoladentafeln und Kekse zu sehen waren. Viel hatten von solchen Sachen schon gehört.
Der amerikanische Offizier, ein bereits pensionierter alter Lehrer und eine Vertrauen erweckende Lehrerin verteilten die Süßigkeiten und versprachen mehr, wenn am nächsten Tag alle mit Schulmaterial antreten würden. Fast alle kamen, ich auch. Das „Anfüttern“ hielt noch einige Tage an. Dann lief die Schule …
Die Schuleinführungsfeier fand an einem Wochenende nach der zwangsweise durchgeführten Schuleinführung statt; mein Vater war in amerikanischer Gefangenschaft.
Die große Zuckertüte täuscht. Nur das obere Viertel war mit einigen Süßigkeiten gefüllt. Der Rest bestand bei mir und meiner kleinen Schwester aus Knüllpapier.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte niemand gemerkt, dass ich erst fünf Jahre geworden war. Nach acht Schuljahren verließ ich die Grundschule mit gerade 13 Jahren. Probleme gab es auch dann wieder, weil ein Lehrling 14 Jahre zu sein hatte und einen eigenen Personalausweis besitzen musste! Der stand mir nicht zu; den hatte ich auch nicht …
Ende Juni zogen die Amerikaner sich aus Thüringen zurück. Wieder verfolge ich vom Fenster, wie etwa 10 Tage lang amerikanische Militärlastwagen mit jeweils 10 und mehr angehängten PKW vorbeifuhren. Meine Zahlenvorstellung reichte nicht aus für die vielen Fahrzeuge. Die neue Besatzungsmacht, die Russen, fanden auf jeden Fall nur noch Schrott-PKW vor.
Dann, Anfang Juli 45, zogen die Russen ein. Zu meinem Erstaunen hatten die Russen die gleichen Fahrzeuge wie die Amerikaner; die Soldaten waren nur anders. Den Vorausabteilungen folgten dann Soldaten, wie sie die Nazipropaganda dargestellt hatte: kleine einspännige Pferdewagen mit Stroh, Soldaten mit mongolischen Gesichtszügen lagen auf ihnen, sangen oder spielten Harmonika.
Für sie gab es nur noch kleinere Sachen zu holen bei den Nachbarn: PKW, Radios, Fotoapparate und anderes hatten die Amerikaner mitgenommen.
Kontakte zur neuen Besatzungsmacht und uns Kindern gab es nicht. Die Erwachsenen erzählten sich andere Begebenheiten von der neuen Besatzungsmacht ..., aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

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