Kurzerzählung: Ich war Kamikaze- Todesflieger!
Ich war Kamikaze- Todesflieger!
Eben war
die Trauerfeier vorbei. Die Trauergemeinde sammelte sich vor der
Trauerhalle des Ortsfriedhofs, um dem Bestatter mit der Urne in das
entlegene Urnenfeld zu folgen. Die Grabstätte für die Urne war
ausgehoben; die Urne wurde versenkt und der Trauerzug formierte sich
so, dass jeder vor der letzten Ruhestätte verharren konnte, um einen
letzten Blumengruß einzuwerfen. Dahinter nahmen dann die Angehörigen
die Beileidsbekundungen entgegen. Viele waren gekommen. Die meisten
kannte ich; nur wenige Fremde waren zu sehen. Die Reihe der Wartenden
bewegte sich nur langsam vorwärts.
Meine
Gedanken gingen zurück zu der eben verklungenen Trauerrede. Der
Redner soll ein ehemaliger Kollege gewesen sein. Viele gute Worte
fand er und blieb dann bei der Jugendzeit des Verstorbenen hängen.
Warum nur hatte er die freiwillige Meldung zur Wehrmacht 1945 als
Todesflieger so breit ausgelegt. Das „Kamikazeflieger“
wiederholte er noch einmal und machte dann eine bedeutende Pause. In
der Stille der Trauerhalle wurde es noch stiller. Das wusste vorher
niemand. Hatte sein ehemaliger Kollege und Mitarbeiter noch alte
Konflikte aufzuarbeiten?
Irgendwie
gehörte diese Entscheidung eines kaum 18jährigen nicht hierher,
hatte er doch ein ganz anderes Leben gelebt!
Bis zu
diesen Minuten hatte ich geglaubt, dieses Geheimnis als Einziger zu
kennen.
Die
Reihe der Trauergäste war weiter vorgerückt.
Vor
wenigen Jahren ließ mich ein Telefonanruf wissen, ich solle doch
bitte mal bei einem ehemaligen erkrankten Kollegen vorbei schauen. Er
sei nicht mehr auf der Höhe und es sähe auch nicht gut aus. Die
Krankheit hatte ihn gezeichnet. Über den körperlichen Verfall war
ich dann aber doch erschrocken.
Seit 50
Jahren kannten wir uns von der Arbeit, waren uns aber auch privat
näher gekommen. Er versprühte Aktivitäten, hatte eine klare
Meinung zu Beschlüssen von Partei und Regierung, erwartete von jedem
100 Prozent, handhabte aber alles, was ihm von oben aufgedrückt
worden war, praktikabel ohne Überspitzungen. In den vielen Jahren
der Bekanntschaft war Gesundheit nie ein Problem für ihn und Ärzte
kannte er nur von Reihenuntersuchungen.
Während
des Besuchs sah er sich mitgebrachte Fotos an, lehnte sich nach
kurzer Zeit erschöpft zurück und ich dachte an die erste Begegnung
Anfang der 60er Jahre.
Inzwischen
war die Reihe dem Urnenplatz näher gekommen.
Nach dem
Studium wurde ich in ein ganz kleines Dorf eingewiesen, viele
Kilometer entfernt von der Zivilisation. Das hatte ich so
unterschrieben zu Studienbeginn, 2 Jahre dorthin zu gehen, wo ich
gebraucht würde.
Große
wohlhabende Bauernhöfe bestimmten das Dorfleben, eine LPG Typ 1 war
gerade gegründet worden, tat sich aber mit der kollektivierten
Dorfarmut schwer. Schule in diesem Bereich waren zwei kleine
ehemalige Einklassenschulen. Durch den Umbau der Lehrerwohnung hatte
man jeweils einen Klassenraum hinzugewonnen. Die vier Klassenräume
reichten für den Stufenunterricht von Klasse 1-8 aus. Zwischen den
in Tälern liegenden Dörfern waren gute 3,5 Kilometer Anhöhe zu
überwinden. Um halbwegs Fachunterricht zu erteilen wurden die Lehrer
zu Wanderlehren mit kleiner Zulage.
Die
Zustände ließen sich mit Ehm Welks „Heiden vom Kummerow“
gleichsetzen. Die Zeit war stehen geblieben in dieser Dorfschule mit
dem anspruchsvollen Namen „Polytechnische Oberschule“.
Die
Schüler kamen meist pünktlich, aber die Lehrer hatten früh viel zu
bereden. Von 8 -10 Uhr wurde unterrichtet, dann war erst mal eine
Stunde Pause bei der Hausmeisterin. Die hatte einen neuen Fernseher,
Kaffee und konnte mit gutem Bild den „Ochsenkopf“ aus Bayern
empfangen. Manchmal wurden interessante Serienen gesendet. Dann
hatten die Schüler lange Pause.
Einmal
im Monat setzte der Schulleiter eine Dienstberatung an. Immer wurden
Leberwurstbrötchen gereicht und eine Flasche „Halb und Halb“,
hochprozentiger süßer Likör, angebrochen. Zu diesen Veranstaltung
brachte er immer alle aufgelaufene Post ungeöffnet mit. Er hielt das
für Demokratie. Amtliche Post sollte im Beisein des Kollegiums
geöffnet werden. Vieles hatte sich von allein erledigt, anderes
wurde abgeheftet. Nur einmal erregte dieses Prinzip Unwillen, weil
die Winterferien von der Schulbehörde vorverlegt worden waren. Eine
Woche der Winterferien unterrichteten wir weiter. Da war das
Brieföffnerprinzip im Kollegium gründlich schief gegangen und wurde
infrage gestellt.
Im Jahr
1964 hatte es reichlich geschneit im Januar und der Sturm hatte den
Schnee ins Tal geweht. Obstbäume schauten nur noch mit den Kronen
heraus. Zwischen der 4. und 6. Stunde musste ich über die Anhöhe in
die andere Schule wandern. Die Höhe war kahl gefegt und unten im
Tiefschnee des Tals bewegte sich etwas. Erst dachte ich, ein Reh,
aber dann sah ich, ein Mensch versucht sich durchzukämpfen. Rufe
fetzte der Wind weg. Also dann hinunter in den Tiefschnee, Hilfe
leisten.
Ein
Mensch bückte sich immer wieder und auf Rufweite war zu erfahren, er
habe seine Halbschuhe im nassen Schnee verloren. Die Schuhe wurden
gefunden und er war seinem „Retter“ dankbar, fragte, ob ich den
neuen Lehrer kenne. Froh war er, seinen Ansprechpartner gefunden zu
haben. Er käme von der Kreisabteilung für Volksbildung, sei der
zuständige Schulinspektor und wollte an der Schule nach dem Rechten
sehe. Ich nahm ihn mit in meine Wohnung über dem Schweinestall.
Nachdem er aufgewärmt war und schulische Belange beredet waren,
brachte ich ihn die fast 4 Kilometer zur Bushaltestelle an die
Landstraße. Zuvor teilte er noch mit, die Schule würde bald
aufgelöst und er würde eine andere Schule für mich finden, was er
dann auch getan hat.
Wie die
Jahre doch vergangen sind?
Das
Sprechen fiel ihm schwer.
Er
begann von seiner Jugendzeit zu erzählen, vom Krieg, vom Gymnasium
in G. Ende 1944 und seiner 12. Klasse.
Eines
Tages, Mitte Dezember 1944, kamen Werbeoffiziere von der Luftwaffe.
Jagdflieger wurden gesucht und ein Notabitur versprochen. Die meisten
Jungen der Klasse sagten zu, wollten noch schnell Helden werden.
Alles ging jetzt sehr schnell: Notabitur und Aufnahme in einen
Fliegerhorst irgendwo bei Stendal.
Es ging
dort Mitte Januar 1945 sehr schnell zur Sache. Einige Stunden
Theorie, dann wurde geflogen. Die Maschinen hatten schon ein
Kriegsleben hinter sich, was an mehreren verklebten Einschusslöcher
auszumachen war.
Bei den
Übungen ging es um den Start und der Zielfindung im Sichtflug. Am
Ziel angekommen wurde immer wieder geübt, abkippen über einen
Flügel, Gashebel auf Anschlag und Sturzflug. Der mitfliegende
Fluglehrer fing die Maschine dann ab und übernahm die Landung.
Anfang
April 1945 dann kamen Parteigrößen und gestandene Fliegerhelden und
forderten Mut zu beweisen, Heldentum zu zeigen und das eigene Leben
nicht zu schonen für das Deutsche Volk in seiner schwersten Stunde.
Nun ging es um den Rammstoß, sich aus großer Höhe auf alliierte
Bomberverbände zu stürzen. Davon hatten wir gehört. Die
Verlustquote lag bei 95 Prozent. Fast alle sagten zu, auch ich.
Gruppenzwang und NS Propaganda zeigten ihre Wirkung, der versprochene
Eintrag in das Deutsche Heldenregister auch. Ab sofort änderte sich
der Umgang mit den Vorgesetzten. Es gab gutes Essen, Schokolade und
französischen Alkohol.
Das Wort
„Kamikazeflieger“ kam jetzt schon mal vor. Russische und
englische Piloten führen den Rammstoß auch aus und da fiel schon
mal der Begriff „Todesflieger“ als deutsche Variante. Jetzt
verstanden wir, warum die Landung von Flugzeugen von Anfang an nicht
zum Ausbildungsprogramm gehörte.
Er
stockte in seiner Erzählung, trank einen Schluck. Die Erinnerung an
die Zeit hatten ihn tief bewegt.
Nach dem
1. April 1945 sickerte durch, dass ein englischer Bomberverband aus
großer Höhe angegriffen worden sei, erzählte er weiter. Die
deutschen Verluste bei den Rammstößen lagen hier bei mehr als 90
Prozent. Nach diesem Einsatz wurden weitere „Selbstopfer Piloten“
gesucht.
Wieder
blieben fast alle dabei, ich auch, ich hatte mich entschieden. In der
Stube war die Entscheidung für das Lebensende kein Thema. Wir
sprachen nie darüber. Der Gedanke wurde verdrängt. Alle ließen es
sich gut gehen bei Alkohol und gutem Essen. Abends, kurz vor dem
Einschlafen, mogelte sich der Gedanke an die Endlichkeit des Lebens
in wenigen Tagen doch mal durch. Ich tröstete mich damit, dass
andere beim Angriff aus dem Schützengraben auch keine größeren
Lebenserwartungen hatten. Die Zeit war eben so, der Tod
allgegenwärtig!
Der
Einsatzbefehl kam schneller als gedacht. Mitte April muss es gewesen
sein. Die Russen hatten die Oder erreicht und die anderen Alliierten
Mitte März den Rhein überschritten.
Alle
ausgewählten Flieger mussten ihre Sachen zusammenpacken und noch
einige Zeilen an ihre Angehörigen schreiben. Ich packte meine
persönlichen Sachen zusammen, steckte aber mein Soldbuch in die
Uniformtasche. Warum weiß ich nicht.
Früh
zur Befehlsausgabe wurde die Luftlage erklärt. Feindliche Jäger und
Bomberverbände gab es nicht in der Flugzone; Wetterkapriolen waren
nicht zu erwarten. Der Befehl zum Flug ohne Wiederkehr lautete:
Richtung Osten bis zur Oder und Zerstörung einer zugewiesenen
Oderbrücke, um den Vormarsch der Russen zu stoppen. Zwei Maschinen
wurden eingeteilt, die bis zur Grenze ihrer Tragfähigkeit mit
Sprengstoff beladen waren. Treibstoff gab es nur für den Flug bis
zur Oder.
Auf der
Startbahn standen zwei Maschinen abflugbereit, dahinter weitere. Die
Motoren waren schon angelassen. Der Mechaniker wollte guten Flug
wünschen, biss sich dann aber auf die Lippen, weil diesmal eine
Rückkehr nicht vorgesehen war. Sonst kamen ja einige wenige Piloten
wieder zum Standort zurück. Andere vom Bodenpersonal vermieden es
uns anzuschauen.
Die
Maschinen, die auf Startposition standen, waren arg lädiert;
Einschüsse waren überklebt und nicht einmal das Hoheitszeichen
hatte man mit Farbe nachgezogen. Einmal war ich schon mit dieser
Maschine geflogen.
Die 2
Maschinen starteten. Der Startvorgang zog sich bis ans Ende der Piste
hin, weil die Maschinen überladen waren. Meinen Flugpartner kannte
ich nur vom sehen. Wir sprachen vor dem Start nicht miteinander. Was
sollten wir auch sagen?
Es war
ein schöner Tag, der letzte Lebenstag mit meinen 18 Jahren. Den
Gedanken verdrängte ich. Die Sonne war aufgegangen, der Himmel war
leicht bedeckt. Wir überflogen Wälder, Wiesen, Dörfer, Städte in
Richtung Oder. Mit meinem Rottenkamerad hatte ich nicht verabredet,
wer sich zuerst in den Tod stürzt. In Odernähe war eine schöne
große Wiese zu sehen und hier machte sich erstmals der Gedanke
breit: hier landen und abhauen!
Die im
Befehl angewiesene Brücke war gefunden. Am Ufer waren
Militärfahrzeuge und Panzer zu sehen. Die Russen schickten sich an,
die Brücke zu überqueren. Vereinzelt wurde geschossen. Sie waren
wohl irritiert, weil wir nicht angriffen. Mein Rottenkamerad setze
aus dem Anflug heraus zum Angriff an. Vorher wackelte er noch zum
Abschied kurz mit den Flügeln. Der Sturzflug wurde aus einer
ungünstigen Position heraus gestartet. Er kippte über den rechten
Flügel ab und raste mit heulenden Motoren der Erde entgegen. Eine
gewaltige Explosion versetzte unten alles in Qualm und Nebel. Meine
Maschine erzitterte und wurde von der Druckwelle nach oben
geschleudert. Jetzt hatten die Russen begriffen, was wir vor hatten
und heftiges Feuer setzte ein. Ich musste handeln, bevor sie mich
treffen.
Die
Maschine ließ ich abkippen, zog beide Gashebel bis Anschlag auf und
raste der Erde entgegen. Nach einer zehntel Sekunde dachte ich an die
Wiese vor der Oder. Ich wollte nicht sterben, zwang die Maschine in
eine Schleife. Dabei hatte ich Angst, sie bricht auseinander und ich
überlebe das Manöver nicht. In einer weiten Schleife über dem
Aufmarschgebiet zog ich die Maschine wieder hoch und dachte nur noch
an die Wiese. Kurz nach dem Flug nach Westen war die Wiese nach
Überquerung der Oder wieder zu sehen. Zweimal überflog ich diese
Wiese, weil mir eingefallen war, dass so kurz hinter der Front sich
deutsche Stellungen befinden könnten. Von weiter unten sah die Wiese
dann nicht mehr so eben aus. Sie wurde von gut getarnten
Verteidigungsanlagen durchzogen. Militär war nicht mehr zu sehen.
Gelandet
war ich bisher kaum, hatte wenig Erfahrungen und die Maschine war
überladen. Nach dem ersten Aufsetzer machte die Me einen gewaltigen
Sprung und überquerte einige größere verlassene Stellungen. Sie
setzte wieder auf und nach zwei weiteren kleineren Sprüngen holpert
sie auf den Waldrand zu. Der rechte Motor hatte Aussetzer und gleich
darauf blieb auch der andere stehe. Sprit alle!
In Panik
schnallte ich mich ab, denn jede Sekunde könnte diese fliegende
Bombe doch noch hochgehen. Daran hatte ich bis jetzt überhaupt nicht
gedacht. Mit meinem Gerümpel hastete ich in den nahen Wald. Weg, nur
weg von hier! Alle Ausrüstungsgegenstände streifte ich ab und
rannte. An das Soldbuch in der Uniform dachte ich nicht.
Erst
jetzt machte sich der Gedanke breit, sollten mich deutsche Soldaten
erwischen, hängen die dich als Fahnenflüchtigen sofort an den
nächsten Baum. Die Russen wären sogar das kleinere Übel! Die Front
war immer zu hören auf meinem Weg nach Westen, Die Russen überholten
mich dennoch. Die Deutschen leisteten wohl keinen nennenswerten
Widerstand in diesem Frontabschnitt. Als ich aus meinem Tagesversteck
aufbrechen wolle bei anbrechender Dunkelheit, erwische mich eine
Streife. Junge russische Soldaten in meinem Alter hatten sich einen
“Fritz“ gefangen und genossen nun im Kriegsalltag ihren Spaß,
mir den Kolben ihrer Kalaschnikow in den Rücken zu stoßen oder mich
in den Hintern zu treten. In einer Sammelstelle wurden die
Aufgegriffenen erfasst und nach zwei Tagen in ein Gefangenenlager
gebracht: eine alte Scheune mit einigen halb intakten Gebäuden
rundherum gab es viel Stacheldraht.
Anfang
Mai riefen die Posten durch den Zaun: „Hitler kaputt!“ Sie
ballerten in die Luft und Mittag gab es eine Kartoffel mehr ...
Der Mai
und Juni waren halbwegs warm und so war es auszuhalten hinter dem
Stacheldraht. Wir verhungerten nicht und konnten sehen, die Russen
hatten auch kein viel besseres Essen..
Anfang
August bestellte man mich in die Kommandantur. Dort saß ein
russischer Offizier, der mein Soldbuch vor sich liegen hatte. Ich
musste erzählen, wie ich mit 18 Jahren in den Krieg gekommen bin.
Von meiner Mission als „Todesflieger“ und der mit Sprengstoff
beladenen Maschine sagte ich nichts. In dem Soldbuch waren kaum
Eintragungen vorgenommen worden. Es gab wichtigeres in dieser Zeit.
Meine Darstellung zu Notabitur und Einberufung schien glaubhaft zu
sein. Welch Glück, dass ich das Soldbuch dabei hatte!
Nach
wenigen Tagen wurde ich und einige andere 18jährige mit einem
Militärfahrzeug zur nächsten Bahnstation gefahren. So schlug ich
mich nach Thüringen in meinen Heimatort durch.
Neulehrer
wurden dort gesucht und da ich gültige Entlassungspapiere hatte,
konnte ich mich bewerben. Der Kriegseinsatz hatte mich gelehrt, so
etwas darf nie wieder passieren. Dafür will ich etwas tun. Nie
wieder Krieg! Als Lehrer geht das am besten.
Hier
endete sein Bericht und mit geschlossenen Augen war er in sich
zusammengesunken. Mich hatte er vergessen; der Bericht hatte ihn
stark mitgenommen.
Inzwischen
war ich an der Urnengrabstelle angekommen.
Wie mein
Vordermann nahm ich eine Rosenblüte und warf sie in die kleine
Öffnung zu den anderen Blüten. Der Mann vor mir, den ich nicht
kannte, hatte Tränen in den Augen. Mit einer Verbeugung und kurzem
Innehalten erwies ich ihm, dem Arbeitskollegen, Helfer in vielen
komplizierten Situationen und auch Freund, die letzte Ehre, sprach
den Angehörigen mein Beileid aus und ging tief in Gedanken versunken
über den Friedhof zurück.
Sein
weiteres Leben nach dem Antritt der Neulehrerstelle war mir bekannt
aus Berichten anderer Lehrerkollegen und aus eigenem Erleben.
Als sein
Vater am 17. Juni 1953 Stimmführer wurde beim Aufstand und mit
Gefängnis bestraft wurde, distanzierte er sich vom Vater.
Sein
Leben war über die Jahrzehnte geradlinig verlaufen; er vertrat
seinen Standpunkt und versuchte alle politischen Entscheidungen und
Anweisungen auf ein praktikables Format zusammenzustutzen.
Ich
dachte nach seinem Lebensbericht über die gestohlene Jugend all
dieser Flakhelfern, Flugzeugführer, U-Boot Fahrer und der anderen
jungen Soldaten oder Helferinnen in den Lazaretten nach.
Wie
hätte sich ihr Leben ohne diesen Krieg entwickelt? Nun sind sie alle
am Ende ihres Lebens angekommen mit über 80 Jahren. Sie haben
erlebt, was Krieg wirklich bedeutet. Hautnah verbunden mit ihnen
fühlt sich auch noch die folgende Generation, die in Kindertagen
Krieg und Nachkriegszeit erlebt hat.
Langsam
ins Dunkel der Geschichte entschwinden Kriegsereignisse und
individuelle Erlebnisse. Erfahrungen werden von der Geschichte
geschluckt, auch die Geschichte eines Harald Schwirz, der mit 17
Jahren, geblendet von der Ideologie der Nazis, noch schnell zum
Helden werden wollte.
Er hatte
aus den Kriegserlebnissen gelernt und beschlossen, der Jugend einen
friedlichen Weg zu weisen als Neulehrer. Jahrzehnte war er als
geachteter Schulmann in leitender Kreisfunktion bemüht, Beschlüsse
von SED und Regierung auf ein praktikables Maß zurecht zu stutzen.
1989,
zur Wende, ging er in Rente. Als linker roter Abgeordneter war er von
vielen Bürgern der Stadt gewählt worden. Im Stadtrat war er dann
über das 80. Lebensjahr hinaus aktiv tätig. Wieder verdiente er
sich Anerkennung, weil er Entscheidungen der neuen Mächte
praktikabel und bürgerverträglich in der Umsetzung mit gestaltete.
Wieder und wieder wurde er gewählt ...
Kommentare