Erinnerungen: 1963 - Feuer in der Schule

1963: Feuer in der Schule
Studium als Diplomlehrer abgeschlossen, erster Einsatzort, kleine Dorfschule nahe der Bezirksstadt, „dort, wo man gebraucht wurde“. Busanschluss gibt es nicht und die Schule besteht aus 4 Klassenräumen mit 8 Klassen in zwei Dörfern.
Paul Meskat hatte während des Studiums nicht gehört, dass es den Stufenunterricht noch gibt, zwei Klassenstufen gleichzeitig in einem Raum unterrichtet werden.
Eine Kontrolle der Schule durch die entsprechende Abteilung Volksbildung ist seit Jahren nicht erfolgt; kein Inspektor hat sich an diese Schule verlaufen. Die Sitten waren etwas verlottert und erinnerten an trautes Schulmeisterleben irgendwo im Heidesand. Lehrer und Pfarrer waren noch anerkannte Größen. Der Bürgermeister als Staatsmacht hatte wenig zu melden.
Ganz am Anfang fragte Paul Meskat mal den Schulleiter nach den Pausenzeiten und anderen Formen der Schulorganisation. „Mach einfach Pause, wenn du denkst!“ war die Antwort des leitenden Lehrers.
Paul war aber mit 45 Minuten Stunden aufgewachsen und daran gewöhnt; 60 und mehr Minuten Unterrichtszeit lagen ihm nicht.
Die Pausenlänge richteten sich häufig nach dem Vormittagsangebot des bayrischen Rundfunks vom Ochsenkopf. Bei der Hausmeisterin lief der Fernseher ständig und sie reichte frische Leberwurstbrötchen an die zwei Lehrer der Teilschule aus. Die Schüler fühlten sich beaufsichtigt, tobten herum und die Eltern fanden auch nichts dabei. Das war immer schon so und auch Paul gewöhnte sich schnell daran. Der frische Wind der Bildungspolitik der DDR hatte diesen abgelegenen Zipfel des Landes noch nicht erreicht.
Monatliche Dienstberatungen waren ein Höhepunkt im Landlehrerleben des Kollegiums.
Eine Flasche „Halb und Halb“ – Kräuterlikör im höheren alkoholischen Prozentgehalt - kam auf den Tisch und … frische Leberwurstbrötchen. Der Schulleiter legte die monatlich gesammelte ungeöffnete Post auf den Tisch und begann sie zu öffnen und zu verlesen. Viele Anweisungen der Staatsmacht hatte die Zeit bereits erledigt, der Rest wurde beiseite gelegt.
Diese unbürokratische Schulführung hatte aber auch ihre Nachteile. Paul erinnerte sich, dass eine Kollegin um den Februar herum in der Bezirksstadt einen Arzttermin wahrnehmen musste. Sie wunderte sich über die vielen Kinder auf der Straße, fragte und erfuhr, seit einer Woche seien Ferien wegen der Kälte, vorverlegt. Die verlorene Woche Ferienzeit durfte nicht nachgeholt werden. Während er nächsten Dienstberatung ignorierte das Lehrerkollegium „Halb und Halb“ und Leberwurstbrötchen. Man war verärgert über die verlorene Ferienzeit.

Die wenigen technischen Unterrichtsmittel der Schule waren kaum einsatzbereit. Paul hatte noch Ideale und wollte reparieren. Nach einer nachmittäglichen Arbeitsleistung an den vergammelten technischen Geräten trat er vor die Schultür, schaute zum Nebengebäude und meinte Flammen zu sehen über dem Dach, dann waren sie auch wieder weg. Mal nachsehen! Er stieg die Treppe hinauf. Auf halber Höhe kam ihm der Sohn der Reinigungsfrau entgegen und meinte, dass es da oben brenne. Paul schaute nach und sah, dass ein individueller Löscheinsatz nicht mehr möglich war.
Was tun? Paul überlegte: Feuerwehr – Telefon! Der LPG Vorsitzende gegenüber der Schule mit dem größten Hof hatte Telefon. Außerdem hatte ein Kollege dort eingeheiratet, der ein Jahr länger an der Schule arbeitete und Mathe/Physik unterrichtete.
Das Anrufen der Notrufnummer für Feuer gestaltete sich schwierig. Es gab kommunikative Schwierigkeiten. Aus dem Hörer war zu vernehmen: „Wir lassen uns doch nicht dauern verscheißern. Auf solche Meldungen fallen wir nicht mehr rein!“ Weitere Anrufe führten zur gleichen Auskunft.
Zufällig war der Pfarrer in dunkler Dienstkleidung unterwegs. Er probierte die Feuermeldung auch: gleiches Ergebnis.
Damit fand sich der Dorfpfarrer nicht ab und entpuppte sich als energisches Organisationstalent: eine Bäuerin bekam den Kirchenschlüssel und den Auftrag zu läuten, um den Bauern der umliegenden landwirtschaftlichen Arbeitsstellen eine Notlage anzuzeigen. „Ihr“, und damit meinte er Paul und den Physikkollegen und die aufgelaufenen Bäuerinnen, „holt den Spritzenwagen und stellt ihn am Dorfteich auf, holt die Motorspritze raus und legt Saugkorb und Schläuche aus!“
Der Wagen war schwer und eigentlich für einen Traktor gedacht. Darum wurde er nicht zu der vorbereiteten Saugstelle gefahren, sondern der nächste Standort am Teich ausgewählt. Exakt und Präzise waren die Anweisungen des Dorfpfarrers. Das Feuer hatte bereits den ganzen Dachstuhl erobert und prasselte eindrucksvoll vor sich hin.
Paul und der Physiklehrer teilten die Frauen ein zum Verlegen des Saugschlauches und der Schlauchlängen zum Brand. Paul verschraubte die Schlauchkupplungen, setzte das Strahlrohr an und teilte mehrere Frauen ein, das Strahlrohr gut festzuhalten, wenn Wasser kommt. Pfarrer und Physikkollege bemühten sich um die Motorspritze. Nach einigen Fehlzündungen sprang sie an. Sie saugte aber nicht. Pfarrer und Physiklehrer erörterten physikalische Prinzipien, drehten entsprechende Ventile in der richtigen Reihenfolge. Das Pumpwerk begann und die Drehzahlen wurden erhöht. Das Wasser in den fast 200 Metern Schlauch war schneller bei den Frauen, als Paul die Entfernung bewältigen konnte. Der Schlauch war steinhart geworden und schleuderte die Frauen umher. Erst, nachdem Paul mit angefasst hatte und das Kommando übernahm, gelang es, den Brandherd zu treffen.
Wenn der Wasserstrahl traf, sah es für den Brand nicht gut aus. Ziegel, brennende Bretter, ja ganze Fachwerkteile wurden durcheinander geschleudert.
Nach kurzer Arbeit setzten an der Maschine Fehlzündungen ein. Es knallte, die Maschine verharrte und dann pumpte sie weiter. Die Leute am Strahlrohr rannten im Rhythmus der Zündunterbrechungen mit dem Schlauch hin und her und zielten dann wieder auf den Brand.
Am Strahlrohr waren jetzt genug Leute; Paul konnte zur Maschine laufen. Dort standen mehr Zuschauer als beim Brand und beobachteten das Gerät aus respektablem Abstand ehrfürchtig. Der Auspuff begann sich gerade von dunkelrot zu hellrot zu verfärben. Immer wieder gab es ohrenbetäubende Fehlzündungen. Ein alter Mann sagte in einer Aussetzerpause zu Paul: „Spritze ist unverwüstliches russisches Modell, kenne ich aus der Gefangenschaft in Russland!“
Der Wassereinsatz auf das Feuer zeigte Wirkung und da war das Tatütata der angeforderten Feuerwehr zu hören.
Sie besichtigten und bauten eine zweite Löschlinie auf, lobten den örtlichen Brandeinsatz und staunten über die Haltbarkeit des Materials. Eigentlich hätten die Schläuche diesen Pumpdruck nicht überstehen können! Sie löschten letzte Feuernester und rissen einige Mauern ein. Die Feuerwehrleute lobten weiter und Paul dachte sich, dass sie wohl ihren verspäteten Einsatz vergessen machen wollten.
Die Kirchenglocke hörte auf zu läuten, an der Brandstelle dampfte es noch und Rinnsale des Löschwasser liefen aus der Brandstätte. Der Bürgermeister ließ eine Flasche Korn kreisen und bedankte sich bei Paul und seinem Kollegen für die Umsicht und auch dafür, dass der Dorfteich gereinigt worden sei. Der Pfarrer wurde in den Dank nicht mit einbezogen, ideologisch sozusagen. Ein Industriearbeiter als Bürgermeister, der aufs Land gegangen war, wusste, was sich gehört!
Da der Ansaugschlauch an der tiefsten Stelle des Teiches angelegt worden war, hatte der Saugkorb den ganzen Entendreck abgepumpt und auf das Feuer geschleudert. Jetzt war auch klar, warum alle, die mit dem Wasser zu tun hatten, so streng rochen.
Das Schulhaus war gerettet; Schule konnte am nächsten Tag stattfinden. Als Brandursache wurde der 12 jährige Sohn der Reinigungsfrau ermittelt, der auf dem Boden geraucht hatte und die Zigarette achtlos in eine Leergut Palette mit Holzwolle geworfen hatte.
Ein Jahr später wurde die Schule aufgelöst und Schüler und Lehrer auf umliegende Schulen verteilt.

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