25 Jahre Westgeld
30. Juni 1990, 18 Uhr, die Kaufhalle im
Ort schließt. Ein historischer Moment; das letzte Mal wird mit
Ostgeld bezahlt. Am Morgen gilt die DM. Wir sind Westen ...
Diesen Moment muss man festhalten.
Fotoapparat greifen und in die Kaufhalle. „Würden sie bitte die
Kasse noch einmal öffnen für ein historisches Foto?“ Einige Fotos
von der geöffneten Kasse werden genommen. Zu sehen ist eine DDR
Registrierkasse mit Mark der DDR. Gab es schon; Geld wurde nicht mehr
im Beutel verwahrt. Einige Umstehende sehen feixend zu, haben wohl
kein Verständnis für einen historischen Augenblick!? „Wie geht es
weiter morgen?“, die Kassiererin weiß es nicht.
Die Kaufhalle ist von der her Wohnung
einsehbar.
Einige westliche LKW stehen bereit am
nächsten Morgen und eine Gruppe dynamischer junger Männer, gestählt
durch das Leben in der Marktwirtschaft, beginnen ihr Werk. Die DDR
Waren müssen raus, schnell. Die Verkäuferinnen wollten sie in DDR
Manier aus den Regalen nehmen, damit nichts kaputt geht. Aber da
zeigte das mitgebrachte Team den Frauen, dass eine neue Zeit
angebrochen ist.
Ritsch, ratsch, beherzt wischten sie
mit großer Routine die Waren aus den Regalen. Auf dem Hallenboden
vereinigen sich der Zucker mit den Inhalten zerplatzter Gläser,
Erbsen und Mehl vermischen sich unter den Tritten der sehr coolen
Jungmänner. Die Konservendosen überstehen diese brachiale Räumung
noch am besten. Die Verkäuferinnen stehen fassungslos dabei. Mit
schweren Tritten wird die Vermischung voran getrieben. Da war ja wohl
auch nichts gebrauchsfähiges aus dem Osten mehr dabei?!
Wie das Zeugs nun in die bereit
stehenden Container befördern? Eine Art Schneeschieber gehörte als
Arbeitsgerät zur Grundausstattung des Einräumteams. Wie Schnee
wurde die Sauerei zu den Containern geschoben. Die Frauen durften mit
Schaufeln die Container befüllen.
Neugierige Zuschauer staunten über die
neuen Kräfte, die die Marktwirtschaft jetzt hier platzieren würde.
„Und das entwickelt sich?“, überlegten die Zuschauer. Aber sie
sahen es ja mit eigenen Augen. Ganz so hatten sie sich den Einbruch
der neuen Zeit nicht vorgestellt, aber es war ja klar, das wusste
man, in der abgeschiedenen DDR hatte war ja viel an Entwicklung
verpasst worden.
Die Regale blieben drin. Die waren in
der kurzen Zeit nicht zu beseitigen. Einige der Umstehenden hatten am
Einbau der Regale vor Jahren an „ihrer“ Kaufhalle mitgewirkt,
ohne Bezahlung, natürlich!
Zwei Tage später war Eröffnung mit
unbekannten Waren für Westgeld - ein Abenteuer! DDR Produkte hatten
hier nichts mehr zu suchen, kaufte keiner.
Manche wunderten sich,
dass sie nach einigen Wochen, auch Monaten freigestellt waren von der
Arbeit. Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen eigenem
Kaufverhalten und Arbeitslosigkeit verdrängten viele.
Manche konnten
die neue Zeit jetzt in vollen Zügen, unterbrochen von unsinnigen
Weiterbildungen, auskosten und nach Jahren nahtlos in eine kleine
Rente übertreten, die Glücklichen …
Als Wochen nach dem 01. Juli 1990 die
erste große Sperrmüllaktion angekündigt wurde,
konnten die Fußwege die zur Abfuhr
abgestellten Möbel und Einrichtungsgegenstände kaum fassen.
Ganze
Küchen, komplette Schlafzimmer, Anbauwände, Sessel, Teppiche u.a.
warteten auf Abholung. An noch anklebenden Schildern war im
Vorbeigehen zu sehen, manches war fast neu.
Der große Presswagen
fraß sich die Straße entlang und knackte laut die noch verwendbaren
Möbel.
Für einige war die Umstellung der Kaufhalle von DDR auf BRD
durch die dynamischen Jungmänner ein Schlüsselerlebnis – keine
halben Sachen mehr! … und hatten also verstanden, wie die neue Zeit
zu handhaben ist. Kredite für Warenparadiese gab es leicht, Arbeit
war viel schwerer zu finden! Muss man alles lernen …
Das war aber auch eine Zeit für
Schnäppchen. Da wurden ganze Bücherläden, alle Bestände ohne
Unterschied dem Müll überantwortet. Die neuen Besitzer erlaubten
mit Wohlwollen, dass Jedermann in den Containern kramen und so viel
mitnehmen darf, wie er tragen kann. Das waren Zeiten damals im
Sommer 1990 ...
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